Mein Wochenende beim PorYes, Feminismus im Pott, 5. November 2015

Feminismus im Pott, 5. November 2015: http://feminismus-im-pott.de/2015/11/mein-wochenende-beim-poryes-feminist-porn-award-europe-berlin-17-19-okt-2015/

Der PorYes – Feminist Porn Award Europe ist eine Art Gütesiegel für feministische Pornografie und wird alle zwei Jahre in Berlin verliehen. Es gibt keine Kategorien, die Preisträger*innen werden für ihre sex-positive und feministische Arbeit ausgezeichnet. Die Preisverleihung verzichtet darauf , künstliche Spannungen zu erzeugen, es gibt keine Konkurrenzen, alle Nominierten werden auch ausgezeichnet. Der Award 2015 zeichnete sich vor allem durch Diversität aus: Die Arbeit der Preisträger*innen beinhaltet Kink Porn/BDSM, Lesbische Pornografie, Queer Porn, Trans Porn und Slow Sex- Erotik. Das Organisationsteam um die Sexologin und Aktivistin Dr. Laura Méritt ist ein offenes feministisches Netzwerk von freiwilligen Menschen, denen sex-positive Bildungsarbeit am Herzen liegt und, die sich dafür praktisch engagieren möchten.

Ich habe Laura Méritt vor anderthalb Jahren bei einem Input – Überraschung – über feministische Pornografie kennengelernt, wo sie mich für die Betreuung der sozialen Medien des Freudenfluss Netzwerkes anwarb. Seitdem freue ich mich auf den PorYes-Award, der zweijährig stattfindet, da ich diesen damals also knapp verpasst hatte. Für die diesjährige Veranstaltung rund um PorYes war ich für Organisation und Marketing eingebunden und, was soll ich sagen, wie die Veranstaltung selbst war auch die Arbeit vorher grandios. Als Kulturschaffende, die größtenteils in Projekt-Zusammenhängen gearbeitet hat, mache ich mir oft Gedanken darüber, wie die Strukturen sein sollten, in denen ich kreativ arbeiten möchte und ob das „feministische“ Arbeitsstrukturen sind. Die Vorbereitungen des Awards jedenfalls kommen meinen Wunschvorstellungen extrem Nahe. Das Miteinander passiert auf Augenhöhe, ist ehrlich, wertschätzend und lustig. Hier stimmt wirklich: Was haben wir gelacht! Jede wurde immer wieder dazu angehalten, auf sich und ihre Bedürfnisse während der Arbeitsphasen zu achten. Das bedeutet natürlich auch, dass Dinge wie gemeinsames (gutes) Essen, eine ausgeprägte Kommunikation und Reflexion Bestandteile des Arbeitsalltages sind. Entspannte Arbeitsatmosphäre heißt natürlich nicht, dass wir nicht auch viel gearbeitet haben, um die vier Veranstaltungen des Award-Wochenendes auf die Beine zu stellen. Für mich war es wahnsinnig befriedigend, zu sehen, dass der emanzipatorische Anspruch, den der Preis „vor den Kulissen“ hat, auch hinter den Kulissen eine tragende Rolle spielt. Oft war ich von Organisationen, Kunst- und Kulturprodukten begeistert, aber der Blick in deren Arbeitsstrukturen oder die Umgangsformen hat mir alles versaut, wenn dort Normativität, Neoliberalismus und  Selbstausbeutung – letzteres für den Kulturbereich schon fast als Fetisch zu bezeichnen – an der Tagesordnung waren.

Zum Abend der Preisverleihung: Wir waren, zwanzig Minuten nachdem wir die Abendkasse geöffnet haben, ausverkauft. Mir war ziemlich klar, dass es im Moment für feministische Themen leichter geworden ist, aber das habe ich nicht kommen sehen. Wo in den letzten Jahren das Interesse nicht gering, jedoch auch nicht überwältigend war, die wichtigen Fragen rund um die Diversität von Lust und Sexualität eher innerhalb einer Szene diskutiert wurden, war die Veranstaltung 2015 restlos ausverkauft und wir mussten Schlangen von Menschen wegschicken. Ebenso bei der anschließenden Party: Einlassstopp. Das gab es vorher auch noch nie. Am Sonntag haben wir unsere Preisträger*innen aufs Podium gebeten, um Gendernormen im Porno zu diskutieren und auch hier: komplett volle Veranstaltung. Dieser Eindruck hat sich dann auch am Montag gehalten, wo wir im ehrwürdigen Senatssaal der Humboldt-Universität mit Jiz Lee und Buck Angel sowie der Professorin Dr. Mari Mikkola „Queer sexualities on screen“ diskutiert haben. Auch in der Presse wurde feministische Pornografie anlässlich des Awards diskutiert. Ich habe mir nicht nur eine Nacht damit um die Ohren geschlagen, in den sozialen Medien unter den Beiträgen der Süddeutschen Zeitung oder von DRadio Kultur mit deren User*innen teilweise absurde Vorurteile über feministische Pornografie zu diskutieren.

Die diesjährigen Preisträger*innen des Feminist Porn Award Europe sind Jiz Lee, Buck Angel, Goodyn Green, Jennifer Lyon Bell und Gala Vanting. Bevor ich euch deren Arbeit vorstelle, dürfen wir ruhig „HALT!“ rufen! Europäischer Pornopreis und wir zeichnen drei Amerikaner*innen und eine Australierin aus, deutsche Filmemacher*innen sind nicht vertreten. Unabhängig davon, dass wir natürlich kein Bundesverdienstkreuz sind und uns in der Auswahl der Menschen, deren Arbeit wir anerkennen wollen, nicht von Ländergrenzen einschränken lassen, wird so jedoch deutlich, dass die feministische Pornoszene Europas einiges an Nachholbedarf hat. Hier wurde noch „PorNO“ gerufen, als in anderen Teilen der Welt schon Fakten geschaffen und sexpositive Alternativen auf Film gebannt wurden. Was ich damit sagen möchte: Es gibt noch Platz für eure Ideen auf dem feministischen Pornomarkt. Und dafür müsst ihr nicht ins queere Welt-Mekka der feministischen Sexszene nach Berlin kommen.

So verschieden die Schwerpunkte sind, welche die diesjährigen Preisträger*innen in ihrer pornografischen Arbeit setzen, allen gemein ist der Anspruch, realistische, sinnliche, nachvollziehbare und diverse Sexualitäten abzubilden. Jeder feministische Porno kann als Advokatin für die Emanzipation von Scham, Gleichmacherei und Bodynormen verstanden werden und ist somit immer auch per se politisch. Womit auch die in letzter Zeit öfter gelesene Annahme, feministische Pornografie sei einfach ein weiteres Untergenre der Mainstream-Pornografie, vollkommen verfällt. Das macht die Konzeption des Veranstaltungswochenendes rund um die Preisverleihung auch deutlich. Standen am Samstag die Pornomacher*innen als Persönlichkeiten und ihre Filme im Vordergrund, wurde in den beiden Panels an den Folgetagen feministische Pornografie als emanzipatorische Praxis auf verschiedenen Ebenen diskutiert.

Die Preisträger*innen 2015 und ihre Arbeit. Aus meiner total subjektiven Perspektive.

Jiz Lee kann heute als genderqueere Pornoikone bezeichnet werden. Nach 10 Jahren in der adult industry hat Jiz im letzten Monat their* erstes Buch: „Coming out like a Pornstar“ veröffentlicht. Bekannt wurde Jiz durch ihr Mitwirken in Shine Louise Houstons Reihe „Crash Pad“ und in diversen queeren, lesbischen, trans, gonzo und BDSM-Pornos. Sie scheint besonders bekannt für Squirting zu sein aber das ist mir in ihren Filmen noch nicht mal aufgefallen. Wahrscheinlich schaue ich immer nur auf ihr Gesicht wenn sie kommt. Das ist es nämlich, was ich an ihr außergewöhnlich finde. In sexueller Aktion sieht sie aus wie ein kleiner frecher Junge, super neugierig, aufgeregt, manchmal sogar unsicher aber immer 100 prozentig involviert und lustvoll. Kann schon sein, dass Jiz dabei auch squirted. Jiz wird geschlechtsneutral angesprochen, für Schriftsprache können wir aus dem Amerikanischen their* nutzen.

Dr. Laura Méritt ist hoch anzurechnen, dass sie seit Jahren konsequent Transgender-Themen zu feministischen Themen macht und damit für den unverzichtbaren Schulterschluss zwischen Feminist*innen und Transsexuellen gesorgt hat; zumindest in der feministischen Pornoszene.

Buck Angel, the man with the Pussy, bekennender Feminist und „Tran Pa“, hat sich seine Nische des Trans Porn durch jahrelange Arbeit selbst geschaffen. Vor seinem Siegeszug gab es schlicht keine Pornografie, die Transsexuelle (Frau-zu-Mann) als sexuelle und lustvolle Individuen zeigte. Bei der Preisverleihung wurde Bucks erster Porno gezeigt, wo er sich auf einer Wiese liegend irgendwo in the middle of nowhere mit diversen Dildos und halb heruntergelassener Armihose selbst befriedigt, nicht ohne immer wieder nervös um sich zu schauen. Im Anschluss hat er uns erzählt, dass dieser Film auch eine Art Verzweiflungstat gewesen ist. Buck hatte das dringende Bedürfnis, etwas an der Unsichtbarkeit von Frau-zu-Mann-Transsexuellen in der Sexindustrie zu ändern, hatte aber weder Erfahrung im Porno noch das richtig Filmequipment. Außerdem, Buck ergänzt lachend: „.. I was afraid I might get shot.“ Buck hat den ersten Porno überhaupt mit zwei Transsexuellen gedreht: „Dude with a pussy gets fucked by a chick with a dick“ (schon für den Einstiegsdialog sehenswert) und produziert unentwegt fabelhafte, interessante, lustige und sexy Transpornografie. Er setzt sich politisch für die Rechte von Transsexuellen ein und in letzter Zeit besonders für jugendliche Transsexuelle. So ist er auch zum „Tran-Pa“ geworden.

Ein Moment bei der Preisverleihung, bei der die Luft in Scheiben hätte geschnitten werden können, war die Vorführung von Gala Vantings Werk. Die 31-jährige Australierin, und damit Youngster unter den Preisträger*innen, ist nicht nur Filmemacherin, sondern auch Sexarbeiterin und -educaterin. Eine besonders bewegende Szene zeigt Gala Vanting, wie sie an einem verlassenen Strand in einer Art Ritual einer wunderschönen Frau Kanülen an denen Federn befestigt sind, links und rechts unter den Schulterblättern in den Rücken einsticht. Die Intensität, Ästhetik und Intimität dieser Szene hat sich selbst bei unserer quirligen Preisverleihung sofort im Raum spürbar materialisiert, ohne dass alle Anwesenden Fans von kinky Sex sein mussten. Das macht den Stil von Gala Vantings Pornografie aus. BDSM wird verspielt, künstlerisch und immer auch -angenehm- didaktisch dargestellt. Man sieht den Filmen an, dass es auch darum geht, diese spezielle Lust zu vermitteln, die nicht so selbstverständlich als feministisch bezeichnet wird, wie es eigentlich sein müsste.

Die in Berlin lebende Dänin Goodyn Green bezeichnet sich selbst explizit als lesbische Filmemacherin. Es ist ihr wichtig, dass dieses Label nicht hinter dem Begriff „queer“ verschwindet, da es ihr darum geht, lesbische Ästhetik, Lust und Sexualität in ihren Filmen und Fotografien darzustellen. In den Veranstaltungen rund um den Award hat Goodyn Green betont, dass sie sich missverstanden fühlt, wenn die Kategorisierung „Genderbending“ für ihre Arbeit genutzt wird. Sie zeigt lesbische Frauen und nur weil diese burschikose Outfits haben, werden noch keine Geschlechteridentitäten neu ausgehandelt; gezeigt werden Frauen. Damit hat sie einen wichtigen Punkt gemacht. Feministische Pornografie hat den Anspruch, alle -die wollen- einzubinden, aber feministische Pornografie ist auch ein einzigartiger Ort für lesbische Lust und Kultur. Neben dem Pornofilm „Shutter“ 2014, in dem das Liebesleben von fünf lesbischen Paaren gezeigt wird, hat Goodyn Green ein Fotobuch namens „The Catalog“ veröffentlicht, in dem sie queere Frauen in typischen Posen aus schwulen Pornomagazinen inszeniert und ablichtet. Sie arbeitet unentwegt in der Berliner queer-porn Szene an neuen Fotoserien und Filmen

Die in Amsterdam lebende Amerikanerin Jennifer Lyon Bell beschäftigt sich in ihren Filmen erotisch mit der Frage, welchem Geschlecht welche Rollen beim Sex zugeschrieben und zugestanden wird. Aktiv, passiv, Mann, Frau und was liegt dazwischen? Zuschreibungen halten uns davon ab, authentisch lustvoll zu sein. Das können wir aus ihren Filmen lernen. Kultig ist sicher die Szene ihres Films „Silver Shoes“ (Vorsicht spoiler!), in der ein Mann von der Hauptdarstellerin als schwul kategorisiert wird und sie schon damit beginnt, nach potentiellen Dating-Partnern in ihrem Freundeskreis zu suchen, als dieser ihr signalisiert, dass er eigentlich sie begehrt. Der Lady ist ihre vorschnelle Kategorisierung ziemlich peinlich und im Anschluss gibt es langen, langen, langen Sex. Jennifer Lyon Bell zeigt Menschen in sehr ästhetischen, gutbürgerlichen Settings, detailreich und phantasievoll beim Poppen. Dabei wird viel kommuniziert, nachgefragt und gelacht sowie spielerisch an gängigen Mann/Frau-Festschreibungungen beim Liebesspiel gerüttelt. Ich finde, wenn man seinen Eltern zu Weihnachten einen feministischen Pornofilm schenken möchte, dann ist Jennifer Lyon Bells Arbeit der perfekte Einstieg und die eben beschriebene Szene sicher ein Knaller bei jedem Familienfest.

Nach dem Award, für den ich von meinem eigentlichen Job im Theater Urlaub genommen hatte, musste ich gezwungenermaßen wieder nach Dresden fahren, wo PEGIDA gleichzeitig seinen einjährigen Geburtstag im öffentlichen Raum zelebriert hat. Das war dann eine massive und zu schnelle Erdung in der Realität. Es ist wunderschön, dass feministische Pornografie, weibliche Sexualität und queere Identitäten 2015 abgefeiert werden und Veranstaltungen wie unsere auf ein so großes Interesse stoßen, dass die Sitzplätze knapp werden. Dieser Erfolg wurde von politischen Aktivist*innen wie Dr. Laura Méritt hart und über Jahrzehnte erkämpft. Gleichzeitig gibt es zu viele Rassist*innen, Sexist*innen und Nationalist*innen, die, weit von einem feministischen Diskurs entfernt, auf den Straßen – nicht nur in meiner Heimatstadt – ihre Dummheit rauspöbeln und sehr gefährlich sind. Das zeigte mir einmal mehr, an wie vielen Fronten wir gleichzeitig kämpfen und dass Feminismus neben Sexualität, Lustgewinn und Gleichberechtigung im Moment auch besonders bedeutet, sich gegen menschenfeindliche Hetze zu solidarisieren.

Rein textlich bekomme ich den Bogen zum PorYes-Award nicht zurück gespannt. Das könnt ihr jedoch selbst übernehmen, wenn ihr Lust habt, euch meine Empfehlung anzuschauen. Enjoy! <3

Buck Angel
www.buckangelentertainment.com
www.buck-angel.com
„Buckback Mountain“ (2007, Porn und ja, es ist eine Persiflage auf Brokeback Mountain)

Gala Vanting
www.msgalavanting.com
„Love Hard“ (2014, Dokumentation über BDSM und Intimität)
„Sensate Films“. Shorts (2015, Porn)

Goodyn Green

www.goodyngreen.com

„Shutter“ (2014, Porn)
„The Catalog“ (2011, Bildband)

Jennifer Lyon Bell
www.blueartichokefilms.com
„Silver Shoes“ (2015, Porn)

Jiz Lee
www.jizlee.com
„Coming out like a porn star“ (2015, Buch)
„Champion“ (2011, Porn)