HINTERGRUND

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Seit Beginn der Frauenbewegung in den 70ern existiert ein Flügel, der sich für eine positive Darstellung von Sexualität und eine feministische Pornografie einsetzt. Diese Fraktion nennt sich sexpositiver Feminismus oder kurz PorYes.

Hauptmerkmale der sex-positiven Bewegung

1. Sexuelle Freiheit ist Bestandteil allgemeiner Freiheitsbestrebungen
2. Einvernehmliche sexuelle Aktivitäten zwischen Erwachsenen bedürfen keiner Regelung und keiner Bewertung von außen
3. Sex ist keine Naturgewalt, sonder genauso wie Geschlecht und Identität konstruiert.

Wie war das mit PorNo?

Während im angelsächsischen Raum von den 80ern an eine starke Auseinandersetzung zwischen der sexpositiven und der sexistische Pornografie bekämpfenden Bewegung stattfand, die als „Feminist Sex Wars“ medial bekannt wurde, standen Feministinnen in Europa weniger in Opposition zueinander. Hierzulande wurden zwar ebenfalls heftige PorNo-Debatten und Kampagnen geführt, sie verliefen allerdings differenzierter, vielleicht auch durch die zeitliche Verschiebung. Eine sexpositive Haltung entstand oftmals aus einer antipornografischen oder bedingte sich sogar. Aktuelle Studien belegen, dass die Einstellungen von Frauen zu Pornografie deutlich differenzierter ist als vor 30 Jahren: Auf der einen Seite ist eine hohe Sensibilisierung für diskriminierende und gewaltvolle Darstellungen und Verhalten gegen Frauen zu verzeichnen, auf der anderen Seite eine Aufgeschlossenheit für konsensuelles sexuelles Experimentieren, das auch für pornografische Darstellungen gilt.

Veränderte Sexualmoral 

Dieser Wandel ist ein Resultat der sozialen Bewegungen und vor allem der Frauenbewegung, die in den letzten 35 Jahren die Sexualmoral verändert und eine Verhandlungsmoral eingeführt hat. Die Sexualwissenschaft spricht von einer grundlegenden Veränderung der sexuellen Verhaltensmuster durch die Frauen. Durch beständige Aufklärungsarbeit, die Etablierung von Frauen-Sexshops mit Beratungs- und Bildungsangeboten, qualitativ hochwertigen, funktionalen und ästhetischen Spielzeugen, informativen Sex-Handbüchern und mittlerweile auch Frauenpornos hat sich ein anderer, entspannterer Umgang mit Sexualität durchgesetzt. Diese neu definierten Bedürfnisse fanden mittlerweile auch Eingang in der hochkommerziellen Sexindustrie, die nun ebenfalls hübsche Spielzeug-Kollektionen und Mainstreampornos für Frauen anbietet. Dieser positive Schritt kann allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass die Mehrheit der führenden Produktionen auf unethischen und umweltzerstörenden Arbeitsbedingungen basiert.

Positive Erotik-Kultur

Mit der Verleihung des Feministischen Porno-Filmpreis Europa in Berlin wird eine öffentliche Aufmerksamkeit für die wachsende sex-positive Bewegung und den Wandel in der Erotikkultur geschaffen. Die Frauenbewegung präsentiert sich einmal mehr von ihrer politisch progressiven Seite, die sexualwissenschaftlich aktuell und geschlechterpolitisch wegweisend ist. Der Feministische Porno-Filmpreis Europa wird auch auf dem Hintergrund der dritten Antiporno-Bewegung und seiner weitreichenden Wirkungen bis in die privaten Beziehungen hinein besondere Aufmerksamkeit erfahren. Durch diese  Veranstaltung werden Kriterien für einen feministischen Pornofilm deutlich gemacht und dadurch zu Diskussionen und Perspektivenwechsel angeregt.

Kriterien für „PorYes“:

  • Sex-positive Grundeinstellung, keine menschen- und frauenverachtenden Darstellungen
  • Praktiken in Absprache mit den Agierenden / keine Grenzüberschreitungen
  • Ethische Arbeitsbedingungen / Safer-Sex- Einsatz begrüßenswert
  • Die Agierenden werden in Beziehung zueinander gezeigt, Augen-, Haut-, Hände- und Körperkontakt, Energieaustausch.
  • Emotionen und Liebesbekundungen sind erwünscht, machbar und zeigbar.
  • Vielfalt der Kamera-Einstellungen, Licht- und Schattenspiel
  • Variationen der Sex-Praktiken in freudvollem Übergang, keine Leistungsschau; Erweiterung des stereotyp dargestellten Spektrums.
  • Vielfalt der Körpertypen, Personen verschiedenen Alters, Geschlechtes, sexueller Orientierung und ethnischen Hintergrundes
  • Authentische Tonaufnahmen oder Musik, keine Geschlechtsstererotypen verstärkenden Synchronisationen des Gestöhnes
  • Darstellung von Lust und Freude, Schwerpunkt auf weiblicher Lust und deren Vielfalt.
  • Keine schematische Darstellung der sexuellen Höhen-Verlaufskurve, d.h. kein geradliniges Hinarbeiten auf die Ejakulation des Mannes, keine Betonung männlicher Cumshots. Orgasmen sind nicht das einzige Ziel
  • Frauen sind maßgeblich bei der Produktion des Filmes beteiligt, als Produzentin, Regisseurin oder Kamerafrau.

Mindestanforderungen für alle Filme sind die sexpositive Darstellung weiblicher und aller anderer Beteiligter Lust, das Aufzeigen vielfältiger sexueller Ausdrucksweisen sowie konsensuelle und ethische Arbeitsbedingungen im Sinne von „Fairporn“. Übergangsweise sollten Frauen und LGBTIQ-Personen maßgeblich bei der Filmproduktion mitwirken. Diese Kriterien können an jeden Film gestellt werden, der erwachsene Menschen in würdevollem und hier eben auch sexuellem Umgang miteinander zeigen will. Das bedeutet, dass feministische Filme qualitativ gehobene und Menschen respektvoll zeigende Filme sind. Daher sind feministische Porno-Filme nicht nur für Frauen, sondern für alle Personen und alle Geschlechter relevant. Auch diese Botschaft soll über eine derartige Porno-Preis-Verleihung betont werden.

Sexuelle Phantasien als Kraftquelle

Gewünscht ist eine Gesellschaft mit einer erotischen Kultur, in der Frauen und Männer, alle Geschlechter ihre sexuellen Vorstellungen und Fantasien als Kraftquelle nutzen, sie als ganzheitlich zu ihnen gehörig betrachten und Anregung aus sexpositiven Darstellungen beziehen können. Gleichzeitig unterstützen wir die in Deutschland wesentlich von Alice Schwarzer geführten drei PorNo-Kampagnen. Der sexpositive Feminismus ist gegen sexistische und rassistische Darstellungen, die als Form von medialer Gewalt die Würde der Menschen verletzen und die Hemmschwelle für reale Gewalt heruntersetzt. Er ist auch gegen die Pornografisierung des Alltags, besonders in Medien, Mode und Kultur, und gegen eine öffentliche Scheinmoral, die dies zulässt, aber keine positive und emotionale Sexualaufklärung von Jugendlichen fördert.

Die Zeit ist reif

Durch die Verleihung eines Feministischen Porno-Filmpreises wird zu einer positiven Aufklärung beigetragen. Aus dieser initial wirkenden Veranstaltung heraus entwickelt sich ein Zertifikat „PorYes“, das an Pornofilme vergeben wird, wenn sie einem feministischen Kriterienkatalog entsprechen, mindestens aber drei Anforderungen erfüllen: Die sexpositive Darstellung weiblicher und anderer Geschlechter Lust, das Aufzeigen vielfältiger sexueller Ausdrucksweisen und das maßgebliche Mitwirken von Frauen bei der Filmproduktion. Dadurch wird eine Unterscheidung in herkömmliche, größtenteils sexistische und klischeehafte Pornos und auf der anderen Seite frauen- und menschengerechte sex-positive Pornoproduktionen getroffen, die den Konsument_Innen als Wegweiser dienen, aber auch hochkommerzielle Produktionen zu spannenderen und vor allem respektvolleren Filmen anregen. Eine Multiplikationswirkung kann auch für andere Medien eintreten.

PorYes

Die Feministische Pornofilm Preis–Verleihung wird alle zwei Jahre besondere Produktionen auszeichnen, aus den eingereichten Filmen heraus Kategorien entwickeln und auch Lebenswerke von Personen honorieren, die sich um eine sex-positive und liebevolle Darstellung und künstlerische Umsetzung von Sexualität bemühen. Kriterien für eine Pornofilm-Preis Verleihung sind zum Beispiel Genres wie Sexdokumentation, Sexpertisen (Lehrfilme), Spielfilm mit Sexszenen, sexuelle Orientierungen wie Heterotik, Lesberotik, Queererotik oder Transporno, besondere Praktiken wie SaferSex-Porno oder sexuelle Kompetenz und besondere Anregung, intelligenter Porno (mit Dialogen), ferner besondere Geschichte, Sound, oder auch einen Business-Preis für erfolgreiche Frauen in der Pornoindustrie.