PorYes Pornstar Talk HU „Queere Identitäten auf der Leinwand“ 19.10.2015

 

Prof. Dr. Mari Mikkola, Philosophin Feministin und Lehrende an der Humboldt Universität freut sich Pornografie in der Uni zu diskutieren, da traditionell gesehen der akademische Betrieb der Pornografie gegenüber eher verschlossen ist.

Buck Angel, queerer Pornstar, kommt nicht aus dem akademischen Betrieb und empfindet es besonders ermächtigend, an der Uni über seine Arbeit reden zu können.

Jiz Lee redet nicht gerne vor Leuten, sondern hat lieber Sex vor Leuten, definiert sich als genderqueer.

Dr. Laura Méritt, Sexaktivistin, Lachforscherin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie hat den PorYes – Feminist Porn Award initiiert und ist Teil des Freudenfluss-Netzwerkes, das diese und weitere sexualpolitische Veranstaltungen organisiert.

Laura:

Wie lange seit ihr schon im Business?

Jiz:
Ich habe 2005 angefangen, also vor 10 Jahren. Ich arbeite sehr unregelmäßig, weil ich mich von der Neugier leiten lasse und mit möglichst wenig Druck und vor allem vielfältig arbeiten möchte.

Buck;
Ich arbeite seit 2002 und habe den Transmann-Porn etabliert, den es so nicht gab. Selbst in der Porno-Industrie wurde ich als abnorm wahrgenommen und musste sehr hart kämpfen. Sie dachten am Anfang, ich sei ein Mann, der sich eine Pussy hat bauen lassen, um besonders zu sein und fanden das abartig.

Spannend war auch eine Erfahrung in dem ersten Porno, in dem ich als ein Transmann und eine Transfrau miteinander Sex hatten. Der Kameramann war ein langjähriger Profi, der seit 30 Jahren im Business arbeitet. Während des Drehs filmte er zuerst von unten Schwanz und Möse und ging dann mit der Kamera weiter hoch, dann musste er die Kamera erstmal ausschalten und sagte: „Das haut mich echt um! Es tut mir total leid, dass ich euch unterbrechen muss, aber jedes mal, wenn ich mich von der Möse mit der Kamera nach oben begebe, sehe ich einen Mann und wenn ich vom Schwanz hochgehe, seh ich ne Frau, und das ist doch total abgefahren!“.

Das ist exakt meine Arbeit, Erwartungen zu unterlaufen, um neue Bilder in die Köpfe der Menschen zu bringen.

Laura:
Und wie bist du zur Pornografie gekommen?

Jiz:
Ich komme vom Tanz, was mir sehr viele Türen geöffnet hat. Sex vor der Kamera ist für mich improvisierter Tanz, bei dem ich mich auf eine andere Person einlasse. Und als ich mich für Pornografie interessierte, war meine Partnerin ebenfalls neugierig, so dass wir gemeinsam den Schritt gehen konnten. Ausserdem ist für mich das Private immer politisch, das bedeutet, dass ich mich sexuell erkundet habe, auf Sexparties gegangen bin, Polyamorie gelebt habe. Pornografie war daher eine weitere Spielwiese, auf der ich experimentieren wollte.

Mari:

Ist es heute immer noch so schwierig wie zu dem Zeitpunkt, als du Buck mit deiner Arbeit angefangen hast?

Buck:

Nein, denn mit der heutigen Technik, den Zugang zu Kameras kann das Ganze viel leichter gedreht und produziert werden. Damals war die Industrie auch noch viel ablehnender gegenüber Neuem, viel konservativer und natürlich stärker an Geld interessiert als daran, möglichst variationsreich verschiedene Körper und Kulturen zu repräsentieren.

Jiz:

Da haben wir bzw. du Buck hast viel Vorarbeit geleistet. Für mich war es schon nicht mehr so hart, auch weil mein Körper noch als konventionell schön genug gelesen wird und ich so leichter in die Industrie reinkam und so von innen Veränderungen einleiten kann, indem andrygyne Körper zu sehen sind.

Wie unterschiedet sich der Mainstream-Porn von der alternativen Szene, ihr habt ja beide in beiden Bereichen Erfahrungen?

Jiz: Der Unterschied ist gar nicht so groß ist und der Mainstream oft gar nicht so sexistisch. Trotzdem muss ich viel Aufklärungsarbeit leisten und zb. sagen: „Moment, bitte verwendet das richtige Pronomen wenn ihr mich ansprecht.“ Es ist schwer, das auszubalancieren, weil ich den Workflow und die Arbeit ja nicht zu sehr unterbrechen möchte. Das Problem ist die Erwartungen so zu erfüllen, wie sie vom Mainstream angeblich gewünscht werden und hier den Handlungsspielraum als Darsteller_innen zu erweitern.

Buck: Wenn der Mainstream sagt, „Nein, wir wollen dich nicht“, dann spornt mcih das gerade an JA zu sagen und diese Türen einzurennen. Ich glaube aber, dass wir diese Türen gar nicht mehr eintreten müssen, weil es langsam eher umgekehrt ist. Das Interesse am Queerporn steigt immer weiter, die Szene wird immer größer, so dass der Mainstream bald nicht mehr gebraucht wird oder Queerporn einfach Mainstream ist, weil die Welt jetzt unterschiedliche Repräsentationen sehen möchte.

Wie ist es generell mit der Aufklärung im Porn? Wie sieht die Sicherheit bei der Arbeit aus und habt ihr schon mal etwas gemacht, was ihr nicht wolltet, Stichwort Konsensualität?

Jiz:

Safer Sex ist nach wie vor schwierig. Kondome und Leckläppchen sind nicht gerne gesehen und selbst in sogenannten Indie- oder Queerporns muss das immer neu verhandelt werden mit den Regisseur*innen Darsteller*innen. Zum Beispiel wollte die RegisseurIn eines lesbischen Pornos , dass ich kein Leckläppchen benutze,ich habe aber darauf bestanden und erklärt: „Safer Sex ist sexy“. Kondome und andere Sicherheitsmaßnahmen, z. B. Handschuhe, werden ganz oft noch als unsexy gesehen. Da gibt es zwischen beiden Szenen nicht wirklich einen grossen Unterschied.

Buck:

Safer Sex ist für mich immer das Allerwichtigste, ich fühle mich generell verpflichtet, das bei allen meinen Filmen durchzuziehen und darüber Aufklärungsarbeit zu leisten. Das ist einfach, weil ich eine eigene Produktionsfirma habe, das heißt, ich muss mich mit vielen Dingen nicht so auseinandersetzen. Aber die schwule Szene ist z.B. noch besonders Kondom abweisend oder Safer Sex feindlich, ich habe sogar Hassmails bekommen, weil in meinen Filmen welche zu sehen waren. Umso wichtiger ist es, das Benutzen von Gummis zu zeigen. Meine Filme sind daher auch Aufklärungsporn.

Wenn es keinen so großen Unterschied zwischen der Mainstream- und der Queerpornindustrie gibt, frage ich aus feministischer Perspektive, ob es Filme gibt, die es besser machen und welche, die es schlechter machen. Was wären Bedingungen für einen fairen Porn oder gibt es einen „Gold Standard of porn“?

Jiz:

Kommunikation finde ich sehr wichtig und Einverständnis. Feminismus hilft dabei wie mit einer Lupe genau hinzuschauen auf die Arbeitsbedingungen und Safe-Sex zb.

Buck:

Natürlich existieren unethische Praktiken, zum Beispiel wenn Leute engagiert werden, die ganz dringend Geld brauchen und darum leider bei Produktionen alles machen würden; selbst wenn sie im Vorfeld eigentlich sehr gefestigt sind und wissen, was sie machen wollen und was nicht. Eine Frau hat sich zb. durch unsicheren Sex bei einer Filmproduktion mit HIV infiziert.

Umso wichtiger ist es, feministische Filme zu machen, mit Safer Sex und mit guten Arbeitsbedingungen. Ich fühle auch eine besondere Verantwortung für meine Darsteller*innen, weil Porn im Internet für immer existiert und abrufbar ist. Ich frage meine Leute immer wieder, ob das Einverständnis da ist: willst du das wirklich machen? Feministisch zu sein und zu arbeiten und zu handeln heißt Macht zu haben, das bedeutet Grenzerweiterung ist, die absolut wichtig ist.

Wie sieht es mit Transfrauen im Film aus?

Buck:

„Transfrauen“ heißt, dass sie sich vorher als Mann identifiziert haben und dass sie sich jetzt als Frau identifizieren. Ich kann nicht für Transfrauen sprechen – aber aus meiner Erfahrung weiss ich, dass Frauen es in unserer Gesellschaft einfach schwerer haben als Männer. Darum machen Transfrauen auf einmal Erfahrungen, von denen sie vorher eher frei waren. Dagegen öffnen sich mir einfach sämtliche Türen, seit ich mich als Mann identifiziere. Ich finde aber nach wie vor, dass Schwänze absolut überbewertet werden.

JiZ:
Aber das Tolle ist, dass die Technologie es jetzt ermöglicht, dass Transpersonen sich selbst repräsentieren und Filme produzieren können, und genau gegen diese Phobie angehen können und damit auch erfolgreich tun.

Buck:

Transmenschen haben einfach nicht dieselben Rechte wie andere und das fängt bei den Toiletten an. Dieses binäre System reicht nicht für Transmenschen, die sich sowohl auf der Männer als auch auf der Frauentoilette unwohl fühlen. Es existiert auch nicht dieselbe Gesundheitsvorsorge, die Rechte sind nicht eindeutig geklärt. Darum betreibe ich Aktivistenarbeit.

Sex war und ist für mich ein Katalysator, ein „Game Changer“. Über Sexualität habe ich meinen Körper anders kennengelernt. Diese Erfahrungen teile ich mit, ich bin eine Stimme, die sprechen kann für diejenigen, die noch keine haben und nicht gehört werden. Es ist super wichtig, diese Gesetze zu ändern. Und es ist vollkommen ok, trans* zu sein, so wie man ist, und dass es nach wie vor nicht genügend kommuniziert wird.

Kondome in Filmen sieht man manchmal und auch im Einsatz, aber nicht wie sie ausgepackt wurden.

Jiz:

Das „magische Kondom“ existiert nicht. In einem Film z.B., in dem ein Dildo benutzt wurde, der vom Arsch zum Mund ging, haben wir durchaus das Kondom gewechselt, um safe zu sein. Als der Film dann später gezeigt wurde, war das einfach herausgeschnitten, um die Fantasie am Laufen zu halten und eine „schöne“ Filmszene zu haben. Später hat man sich auf einem Festival darüber aufgeregt und seitdem zeigen sie Safer Sex ganz bewusst in ihren Filmen. Pink & White Productions ist eine Plattform, wo ihr draufgehen und sex-positive mit Safer Sex Filme sehen könnt.

Buck: Ich möchte zeigen, wie Kondome übergestreift werden und dass die auch mal reißen. Das kann passieren, damit kann man umgehen. Es ist wichtig, zu zeigen, dass Gummis normal sind und dann alle wissen, wie sie ein Kondom benutzen. Das ist ganz klar der Bildungsanteil, den der queerfeministische Porno leistet.

Und dann, dass sich verschiedener Porn mit verschiedenen Körpern auf verschiedene Körperteile konzentriert im Film.

Jiz:

Ich achte sehr darauf, welche Perspektiven im Film sind und bespreche das mit allen Filmemacher_innen..Mir ist wichtig, sich nicht zu sehr auf Vulva und Schwanz zu konzentrieren, sondern dass Gesicht und Reaktionen zu sehen sind, eine Form von Kommunikation.

Und dass das auch etwas ist, das währenddem auch durchaus diskutiert wird, und auch um klarzumachen, dass beide Personen gleichgewichtig, gleich wichtig, im Bild zu sehen sind. Und da kann man darüber, dass man ein Gesicht mehr oder eins weniger zeigt, halt ein Ungleichgewicht herstellen, was eben nicht existieren sollte.

Und diese Form von Kommunikation würde Buck sehr als weiblich beschreiben, es gibt seiner Meinung nach einen männlichen und einen weiblichen Blickwinkel. Bei dem weiblichen ist es wohl so, dass man sich eher auf die Kommunikation und die Gesichter usw. auch mal einlässt. Und dass es wohl durchaus öfter so ist, dass ihm gesagt wird, er hätte einen sehr männlichen Blick, so wie er dreht, weil er sich vor allem gerne auf Muschis und Schwänze konzentriert, und dann irgendwann doch auch wieder aufs Gesicht geht, aber dass es da beim männlichen Blick mehr darum geht, auf den Punkt zu kommen und sich nicht so ablenken zu lassen von den schönen Gesichtern… (lachen)

Und dann noch die Frage nach der Authentizität.

Jiz hat eine Dramaturgie in their Filmen, und zwar gibt es die Erregung, es gibt den Sex mit dem Höhepunkt, und am Ende das Kuscheln. Und ganz oft ist es aber so, dass das, was chronologisch gedreht wird, um diese Dramaturgie einzuhalten, aber durchaus getauscht wird. Das heißt, dass erregende Momente, die viel später passiert sind, oft eher zum Anfang gezeigt werden als zum Höhepunkt oder zum Kuscheln. Das heißt, im Schnitt wird eigentlich eine gewisse Echtheit schon durchbrochen, eigentlich nicht mehr eingehalten, um aber diese Geschichten so erzählen zu können. Und für Performer_innen und für Jiz ist es so, dass Jiz echte Orgasmen vor der Kamera haben und das nicht faken möchte. Es gibt allerdings Schauspieler_innen, die das nicht wollen, weil das genau die Grenze ist, die für sie überschritten wird. Dass den echten Orgasmus zu haben etwas ist, was im Privaten bleiben und nicht auf der Arbeit passieren sollte.

Manchmal ist es für Jiz aber auch so, dass es morgens um 5 ist und schon ganz lange gedreht und gearbeitet wurde, und selbst wenn Jiz noch Erregung spürt, die aber vielleicht doch nicht so stark ist, wie es für die Kamera notwendig wäre, um es aufzufangen. Und darum ist es durchaus so, dass Jiz dann gewisse Äußerungen, die dann kommen, durchaus übertreibt, um aber trotzdem den Effekt zu erzielen, den es braucht. Und außerdem ist es bei Jiz so, dass sie alle Performer_innen, mit denen Jiz arbeitet, erstmal vorher kennenlernt und auch privat gerne mit den Menschen Sex haben möchte, also insofern ist es auch echt.

Und bei Buck ist die Authentizität ebenso enorm wichtig, weil das eigentlich genau das ist, was in sein Aufklärungsziel hineinpasst, dass nämlich je realistischer und echter geschaut wird, desto wohler sich die Performer_innen und auch die Zuschauer_innen fühlen. Außerdem ist es bei einem Dreh so, dass Buck zwar die eine oder andere Anweisung gibt und Fragen stellt, aber es ihm vielmehr darum geht, die Darsteller_innen zu öffnen, ihnen eine Plattform zu geben und möglichst offen und nah diese Ereignisse zu einer körperlichen Entwicklung zu zeigen, und auch die Erregung. Und das geht eben nur, wenn man nah dran ist und das ein bisschen anleitet, aber trotzdem ist es wichtig, nicht zu sehr einzugreifen.

Laura: Ja, ich glaube wir haben ganz viel gelernt. Das war eine tolle Diskussion, wir haben so viele sex-positive Informationen erhalten. Und ich möchte mich bei Euch allen bedanken, danke für die vielen Fragen. Nehmt die sex-positive Energie mit! Und ich ende jetzt mit einem Spruch von Candida Royalle: „Be yourself, free yourself, peace!“.

aus: Mein Lesbisches Auge Nr. 15, Hg. Laura Meritt. Konkursbuch Verlag 2016, ISBN 978-3-88769-816-4