DIE WELT, 9. April 2013, http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_lifestyle/article115121013/Du-kannst-Sex-veraendern.html
In Berlin initierte die „Sex-Expertin“ und Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt den „Por-Yes“-Award, mit dem alle zwei Jahre feministische Pornos ausgezeichnet werden. Dorian Gorr sprach mit der 52-Jährigen.
Mit dem „PorYes“-Award werden feministische Pornos ausgezeichnet. Aber wie groß ist der Markt für diese Filme?
Es ist sicherlich ein Bereich, der noch wächst. Ganz randständig ist er aber nicht mehr. Vor rund zehn Jahren ist der Wunsch nach einer anderen Erotik laut geworden. Mit der technologischen Revolution bieten sich andere Möglichkeiten, solche Filme anzubieten. In den vergangenen zehn Jahren hat sich viel getan. Der herkömmliche Pornomarkt flacht ab, weil die meisten Leute online alles umsonst bekommen. Was aber gekauft wird, sind qualitativ hochwertige Filme.
Wenn der Wunsch schon vorher da war, wieso gab es diese Art von Filmen dann nicht?
Die gab es natürlich auch, aber die waren nicht so bekannt. In den 60er- und 70er-Jahren gab es eine sexpositive Bewegung. Sexpositiver Feminismus war der Flügel in der Frauenbewegung, der gegen Sexismus sowie Rassismus war und ein Angebot machen wollte, wie es denn anders aussehen kann. Sie wollten einen anderen Zugang in der Sprache, in den Bildern, in den Verhaltensweisen – anders als das, was Mainstream ist. Die Akteurinnen der Frauengesundheitsbewegung waren die ersten, die Filme über Sexualität gemacht haben, die klar pornografisch waren. Dann kamen die ganzen Experimentalfilmerinnen, die mit den Kameras überall beim Körper reingeschlüpft sind.
Später gab es das „Puzzy Power“-Manifest mit Richtlinien für feministische Pornos. Darin werden Naheinstellungen abgelehnt. Wie passt das zusammen?
Das muss man zeitbedingt sehen. Das „Puzzy Power“-Manifest kam im Jahr 2000. Dort wurde provokativ formuliert, was vorher diskutiert wurde: Dass Frauen eine Geschichte im Porno haben wollen und es auch humorvoll sein darf. Von vielen wurde das anschließend als in Stein gemeißelt hingenommen. Als ob alle Frauen immer eine Geschichte im Porno haben wollen oder niemals eine Naheinstellung sehen möchten.
Das Manifest ist also nicht als strenge Richtlinie zu sehen?
Nein. Es war mehr eine Art Gegenmanifest. Wenn es immer nur Pornos gibt, die zusammenhangslos sind und Naheinstellungen zeigen, kommt irgendwann die Gegenbewegung, die sagt: „Wir wollen immer eine Geschichte drumherum. Jetzt wollen wir was anderes.“ Das heißt aber nicht, dass man partout alles ablehnt. Es geht darum, dass wir keine Norm wollen. Wir wollen Vielfalt! Natürlich wird man auch in feministischen Pornos Blondinen mit großer Oberweite sehen, denn es gibt nun einmal Frauen, die so aussehen.
Was zeichnet für Sie einen feministischen Porno aus?
Die drei Hauptkriterien der feministischen Porno-Bewegung sind: 1. Die Lust der Frau muss auch zu sehen sein. Die Lust aller Geschlechter soll zu sehen sein. 2. Vielfalt in der Art und Weise, wie Lust gezeigt und praktiziert wird. Vielfalt bei den Körpern, bei den Kameraeinstellungen, andere Kulturen zeigen, andere Altersgruppen – Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt! 3. Gute Arbeitsbedingungen, wie in anderen Jobs auch. Die Leute sollen sich am Set ausruhen können, weniger Druck verspüren und nicht ausgebeutet werden.
Schauen Frauen Pornos aus anderen Gründen als Männer?
Das ist eine Sache der Konditionierung. Sexualität ist in unserer Gesellschaft leider sehr stark geschlechterpolarisierend. Im Mainstream-Porno sieht man das ganz deutlich. Es ist immer sehr übertrieben: XXL-Varianten an Geschlechtsorganen und die sind immer ganz klar zuordenbar. Das ist eine extreme Polarisierung. Wenn man die wegnimmt, kann jedes Geschlecht solche Filme in allen Varianten gucken und genau darum geht es uns. Wir wollen weg davon, dass man, „nur“ weil man eine Frau ist, eine Geschichte, Romantik, schöne Bilder und Kerzenschein dazu braucht und der Mann muss dauernd durchvögeln, weil er so notgeil ist. Das sind Geschlechterklischees, die reproduziert werden, aber nichts mit der Vielfalt des Lebens zu tun haben.
Ist es nicht zu spät, das Bild, das Menschen von Pornografie haben, verändern zu wollen?
Wir sprechen uns in zehn Jahren wieder, dann werden wir sehen, dass sich viel geändert hat. Das geht relativ schnell, weil wir ja auch eine lange Zeit hinter uns haben, in der viel verändert wurde. Alles ist veränderbar. Das ist das Schöne an Kultur und Gesellschaft. Du kannst verändern. Du kannst Sexualität verändern. Sogar in deinem eigenen Leben. Nichts ist zu spät!