NEUES DEUTSCHLAND, 7. März 2015: http://www.neues-deutschland.de/artikel/963994.poryes-statt-porno.html
Eine neue Generation propagiert „Sexpositiven Feminismus“
Schon wieder Rein-Raus. Nächstes Fenster. Schon wieder eine Frau, die in sabbernder Erwartung vor einem Mann kniet. Sie will Flüssigkeiten, unbedingt und überall. Schau hin, Mann: Das ist es, was die Frauen wollen. Nächstes Fenster. Schon wieder Riesenbrüste, Riesenschwänze. Nächstes Fenster. Granny, Nanny, Tiny, Hairy. Schau hin, Frau: Das ist es, was die Männer wollen. Tiefer, dreifach, vierfach, härter. Und die Frauen betteln: mehr, mehr, mehr. Der allzeit potente Mann kommt dieser Aufforderung gerne nach. Schon wieder: Erniedrigung. Schon wieder: Ernüchterung. Nach der fünften Porno-Webseite gebe ich erschöpft auf. Erschöpft hat mich nicht die Lust. Leider. Erschöpft hat mich die Ernüchterung.
Gibt es wirklich keine Alternativen zu Mainstream-Pornografie in einem Land, das laut einer Studie des Webdienstes »similarweb« sogar Weltmeister im Pornogucken ist? Wo ist der Feminismus, wenn man ihn braucht? Unbestritten, feministische Debatten und Positionen gibt es bereits seit Beginn der »sexuellen Revolution«. In den 60ern und 70ern soll die Darstellung von Sexualität vielen sogar als Ausdruck sexueller Freizügigkeit gegolten haben, »sexpositiver Feminismus« war hier das Stichwort und auch europaweit kam es in den 70ern zu einer gesetzlichen Liberalisierung von Pornografie. Pornografie galt gar selbst als Mittel der Emanzipation. Natürlich, Alice Schwarzer in den 80ern mit ihrer Gegenbewegung in Form der PorNO-Kampagne, die jede Form von Pornografie als frauenverachtend und Vorstufe zur Vergewaltigung oder gar Mord betrachtete, nicht zu vergessen. Soweit die historische Abhandlung.
Doch der Blick in die Top Ten der gängigen Pornowebseiten im Februar 2015 zeigt: Nach sexpositivem Feminismus und sexueller Revolution kann man hier lange suchen. Auch die gesellschaftliche Debatte über Pornografie und deren Auswirkung auf die sexuelle Bildung und Entwicklung einer Gesellschaft findet selten und häufig nur in klar feministisch definierten Räumen statt. Das Prädikat »Frauenporno« hat der Mainstream-Markt, der immerhin jährlich trotz Internet und Freiverfügbarkeit immer noch rund 800 Millionen Euro in Deutschland einspielt, weltweit rund 20 Milliarden Dollar, längst für sich entdeckt und verkauft alten Schmu, die Details hatten wir zu Beginn, in neuem Gewand.
Wo ist er hin, der sexpositive Feminismus? Wer jetzt so tut, als wüsste er ganz und gar nicht, wovon ich hier schreibe, gehört entweder zu den 20 Prozent der Gesellschaft, die angeblich noch nie Pornografie konsumiert haben, oder echauffiert sich einfach gerne. Was macht das wohl mit einer Gesellschaft, wenn sich die sexuelle Bildung vom Jugendlichen bis zum Erwachsenen durch Webseiten vollzieht, die primär, vorsichtig formuliert, nicht gerade die Lust der Frau in den Fokus rücken. Angeblich haben fast 80 Prozent aller Kinder zwischen acht und 16 Jahren schon einmal Pornofilme gesehen, besagt eine amerikanische Studie. Aufklärung in hardcore. Wie kann sich der Blick einer Gesellschaft auf Sexualität überhaupt entwickeln, wenn die Alternativen so rar gesät sind, dass man entweder sehr lange suchen oder direkt bezahlen muss. Im schnellen Geschäft mit dem Trieb sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann oder eine Frau sich nach feministischen Alternativen umsieht, wenn Mainstream-Erniedrigung innerhalb von Sekunden und wenigen Klicks kostenlos verfügbar ist.
Sucht man im Netz nach feministischer Pornografie, stößt man unweigerlich auf Laura Méritt. Sie hat zum »Lachen der Frauen« promoviert, besitzt in Berlin einen »Sexclusivitäten«-Salon, in welchem sie neben Aufklärung auch Sexspielzeug für Frauen sowie feministische Pornos verkauft, und führt einen Blog zu weiblicher Ejakulation. Sie sollte sich also auskennen mit dem Thema.
Méritt begrüßt mich mit einer Plüschvulva in der Hand. Sie hat in das Schwule Museum in Berlin geladen, als eine von vier Kuratorinnen hat sie dort die Ausstellung »Porn That Way« ins Leben gerufen. In der »lustvollen Schau« geht es um die Anfänge der homosexuellen Pornografie im 19. Jahrhundert, bis zu den öffentlichen Produktionen der 70er Jahre »von Filmen aus der Zeit der AIDS-Krise bis zur aktuellen sex-positiven feministischen Bewegung«, also auch um feministische Pornografie. Wie sie die definiert, beschreibt Méritt so: »Zum einen sollte die Lust der Frau auch zu sehen sein, die Lust aller Geschlechter soll zu sehen sein. Die Art und Weise, wie Lust gezeigt wird soll vielfältig sein, andere Kulturen, Körper, Altersgruppen zeigen und am Set sollen gute Arbeitsbedingungen herrschen. Wir nennen das auch FairPorn oder eben PorYes.«
2009 hat Méritt den feministischen »PorYes-Award« ins Leben gerufen, der auch in diesem Jahr am 19. Oktober wieder verliehen wird und besondere Produktionen auszeichnet, die respektvollen und sex-positiven Sex zwischen Erwachsenen zeigen. Der Award soll ein Gütesiegel sein, das Filme, in denen weibliche Lust, das Aufzeigen sexueller Vielfältigkeit und die maßgebliche Mitwirkung von Frauen, nicht nur vor, sondern vor allem auch hinter der Kamera, würdigt.
Dass das Zeigen von weiblicher Lust in Pornos keinesfalls nur Geschmacks- sondern gesetzliche Definitionssache zu sein scheint, zeigt ein Blick nach England: Dort wurde Anfang Dezember ein Gesetz erlassen, das unter anderem die Darstellung von weiblicher Ejakulation verbietet. Ein ganzer Katalog sexueller Stellungen fällt unter dieses Gesetz: Prügel, Strangulation und mit Gewalt verbundene Penetration. Das ist doch wunderbar, möchte man sagen, wenn erniedrigende Handlungen nun nicht mehr zu sehen sind. Ist es auch, dass aber auch weibliche Ejakulation in diese Kategorien fallen soll, lässt einen nur kopfschüttelnd zurück. Denn der Cumshot – alles ins Gesicht – bleibt von diesem Gesetz unberührt. Bloß nicht am heterosexuellen, männlich dominierten Sexualbild rütteln. Das Verbot wird kaum einen Briten davon abhalten, sich solche Filme dennoch anzuschauen. Aber das Signal ist ein deutliches: Spaß und Lust der Frau? Bitte um Himmelswillen nicht.
Beim PorYes-Award werden genau solche Szenen, in denen Frauen genießen, gewürdigt. Genießen ist sehr individuell, mal hart, mal dominant, mal devot. Vor allem geht es darum, Alternativen aufzuzeigen. »Es geht in den Filmen nicht um das schematische Hinarbeiten auf die Ejakulation des Mannes, Orgasmen sind nicht das einzige Ziel«, erklärt Méritt.
2013 wurden mit der Auster, die Trophäe des feministischen Pornofilmpreises, etwa die deutsche Regisseurin Monika Treut, die in ihren Filmen eine Vielfalt von sexuellen Identitäten vermittelt und Cléo Uebelmann, die einen lesbischen SM-Bondage-Film gedreht hat, ausgezeichnet. Auch ein Mann wurde mit der Auster geehrt: Als Lehrer einer ganzheitlichen Praxis männlicher Sexualität erhielt Joseph Kramer einen Preis. Entgegen der weit verbreiteten gesellschaftlichen Vorstellung, dass Frauen Erotik und Pornos mit Handlung bevorzugen, zeigen diese Filme, dass es gerne hart, wild und leidenschaftlich, auch ohne große Rahmenhandlung zugehen kann.
Die Ausstellung »Porn that way« bietet einen Überblick über diese Art Filme. Gleich am Eingang hängt ein großes Bild. Ein nackter Mann, schöne Muskeln, Haare, Tattoos, ein gepflegter dichter Bart. Untenrum: Kein Penis, sondern eine Vagina. Buck Angel ist Pornostar und Transmann und hat 2015 zum Jahr der Vulva erklärt, erzählt Méritt und lockt die Besucher, die wie ich zu Méritts Führung heute Abend gekommen sind, weiter ins Pussykabinett. Großaufnahmen dieser. Bedächtig schreiten sie von Bild zu Bild. Die Gruppe ist durchmischt, Schwule, Lesben, Heteros interessieren sich für die Ausstellung.
Das Publikum spiegelt ganz Méritts Einschätzung von dem Markt wieder, der die feministischen Filme auch konsumiert. »Seit rund zehn Jahren ist der Wunsch einer anderen Erotik laut geworden. Mit der technologischen Revolution bieten sich nun andere Möglichkeiten, solche Filme anzubieten. Der herkömmliche Pornomarkt flacht ab, die meisten Leute bekommen die Filme online und umsonst. Gekauft werden qualitativ hochwertige Filme«, erklärt Méritt. »Natürlich ist es ein Bereich, der noch wächst«. Als eine »neue Generation Porno«, bezeichnet der »PorYes-Award« diese Filme.
Es scheint sie also zu geben, die Alternative zum 08/15-Porno. Genauso wenige Klicks entfernt wie die heterosexuell-männlich-diktierten Penetrationszweiminüter. Es sind Filme, die Spaß machen. Alternativen zeigen. Ich klappe den Laptop heute trotzdem zu. Denn der schönste aller Filme flimmert nicht über die Bildschirme, sondern allein unserer Fantasie entsprungen in unseren Köpfen.