JUNGLE WORLD NR.13, 29.MÄRZ 2012: http://jungle-world.com/artikel/2012/13/45165.html
„Verkehr auf dem Flokati“ von Iris Dankemeyer
Das Baseler Label Glory Hazel schneidet Material aus Sexfilmen der siebziger Jahre neu zusammen. Gerade hat es seinen zweiten Pornographical Remix veröffentlicht. Es ist nichts Neues: Pornographie findet nicht mehr ausschließlich in der Schmuddelecke statt, in der Männer einsam masturbieren. Mit dem Videoverleih ist das Genre in die Privathaushalte eingezogen und mit Youporn zu seinen Anfängen im Amateurfilm zurückgekehrt. Trotzdem bleibt oft alles beim Alten: In den Massenproduktionen wird weiterhin uninspiriert nach Schema F gerammelt. Auch das, was sich »Alternative Porn« nennt, ist abgesehen von den Looks der Akteure keineswegs eine Alternative. Der »cum shot«, die externe Ejakulation des Mannes, landet dann eben in einem stark gepiercten Frauengesicht. Doch auch die ganzkörpertätowierten Tankgirls bleiben sexuelle Objekte eines männlichen Voyeurismus. Immerhin wandelt sich das Genre durch verschiedene Einflüsse allmählich: Mit John Cameron Mitchells Sexfilm »Shortbus« hat es sich am Arthouse-Kino orientiert. Michael Winterbottoms Film »9 songs« (2004), der Sex möglichst realistisch darzustellen versucht, wendet sich an Paare als potentielle Zuschauer. Im halbkommerziellen Bereich haben sich allerhand Subgenres auf die jeweiligen Neigungen eines Nischenpublikums spezialisiert. Der sex-positive Feminismus und die Queer-Bewegung haben längst das emanzipatorische Potential des Porno entdeckt. Um Stil und Ästhetik geht es dagegen den Produzentinnen des jungen Basler Porno-Labels »Glory Hazel«. Für sie ist Pornographie ein »Gestaltungsfeld wie jedes andere auch«, sagt Sandra Lichtenstern, »allerdings eines, das ästhetisch stark vernachlässigt« sei und deshalb für die beiden Designerinnen eine Herausforderung darstellt. Alles begann mit der Abschlussarbeit, die Sandra Lichtenstern geschrieben hat. Durch Interviews und ausführliche Recherche entwickelten sich wertvolle Kontakte, die es ihr und Sabine Fischer ermöglicht haben, trotz des komplizierten Lizenzrechts aus alten Pornostreifen der siebziger Jahren eigene Filmcollagen zu erstellen und neu zu vertonen. Die beiden sind der Ansicht, dass das Filmmaterial aus dem Golden Age of Porn eine besondere ästhetische Qualität besitzt. Es sind eben keine billig inszenierten Akte in sterilen Räumen, die mit »Gynäkologenblick« auf die Akteure schauen, sondern aufwändige Produktionen mit hoher Bildqualität, sorgfältigem Setdesign und üppigen Ausstattungen. Es hat wohl noch nie geschadet, wenn der Sex in breiten Betten vor lichten Panoramafenstern mit Blick auf den Ozean stattfindet. Einziges Kriterium für die Bildauswahl sind die »sexuell-visuellen Ansprüche« der Produzentinnen. Damit grenzen sie sie auch von der Ästhetik feministischer Pornos ab. »Unsere Filme sind nicht explizit für Frauen, aber explizit von Frauen«, sagt Sandra. Fraglich, ob das so »unpolitisch« ist, wie sie betonen. Immerhin erfüllen die bisher entstandenen Arbeiten mühelos die Mindestkriterien, die etwa der feministischen Filmpreis PorYes vorgibt: Ihre Remixes sind von Frauen produziert und beinhalten die Darstellung weiblicher Lust ebenso wie eine Vielfalt sexueller Ausdrucksweisen. Auch Frauen wollen Pornos sehen. Studien zufolge liegt der Frauenanteil beim Konsum von Pornovideos bei 40 Prozent. Und so spüren die Macherinnen von Glory Hazel eben jene Ausdrucksformen weiblichen Begehrens auf, die von der damaligen Frauenbewegung kritisiert wurden. Aber Begehren teilt sich nicht in die Pornographie des harten Mannes einerseits und die Erotik der zärtlichen Frau andererseits. Sexuelle Phantasien beruhen eher auf unbeherrschbaren Wünschen als auf politisch korrekten Bedürfnissen. Die Produzentinnen schneiden jene Bilder weg, die Frauen nicht unbedingt für ihre Lust brauchen, also überflüssige Dialoge und umständliche Handlungen. Die raren kurzen Szenen, in denen geprochen wird, sind mit rätselhaften, dadaistisch anmutenden Texten unterlegt. »Bestöhnt« werden die Szenen von den beiden Produzentinnen. Für die musikalische Untermalung sorgen die Elektro Sounds des befreundeten Musikers Emil Teiger. Schon die ersten Filme der feministischen »Femme«-Reihe aus dem Umfeld von Annie Sprinkle und Candida Royalle haben keine komplexeren Handlungen als der Standardporno, sondern vollziehen die Rückkehr zur Grundform des Genres: dem Nummernfilm. Die Pornographical Remixes von Glory Hazel bestehen aus jeweils drei knapp viertelstündige Volumes, die Sequenzen aus bis zu 13 verschiedenen Filmen vereinen. Sie reihen aneinander, was für Frauen zusammen gehört: erkennbare Raum-Zeitverhältnisse, Atmosphäre und Stimmungen. Szenen mit lesbischem Sex werden aus ihrem voyeuristischen Zusammenhang gelöst. Den Frauen geht es um eine ästhetische und menschenfreundliche Darstellung von Sexualität. Während viele Frauenpornos den patriarchalen Blick auf den weiblichen Körper nur umkehren, um den männlichen Körper zum Objekt zu erklären, ist in ihren Filmen alles erlaubt, solange es gemeinsam erlebt wird. Auch wenn die Kamera weibliche Genitalien in Nahaufnahme zeigt, wird die Vulva nicht als passives Objekt männlichen Begehrens inszeniert, sondern als Lustzentrum der Frau dargestellt. Vor allem geht es um gleichberechtigten Sex, aus dem auch ein »tieferes Gefühl für das Selbst« resultieren könne. So sehen wir Paare, die sich nach dem Sex umarmen, als würden sie einander für die gegenseitig geschenkte Lust danken. Bei dieser Art von »Heart Core«, wie Frauenpornos oft rubriziert werden, geht es nicht um Gefühlsduselei, sondern um die Tatsache, dass Sex idealerweise keine einseitige, sondern beiderseitige Triebbefriedigung bedeutet. In Volume 6 (»Großes Haus, rein und raus«) lässt eine Frau drei Dildos auf einer Marmoranrichte vibrieren, bevor sie sich später mit ihnen vergnügt. Hier erscheint das Haus als sicherer, aufregender Ort, in dem sich Frauen sich als sexuell unabhängige und selbstbestimmte Subjekte bewegen. Wie dieses Haus ist die Pornographie ein Bereich, in dem Frauen Sexualität erleben können, ohne zur Femme Fatale stilisiert zu werden.