„Ja, bitte! Mehr Schwänze!“, TAZ, 19. Oktober 2013

TAZ, 19. Oktober 2013: http://www.taz.de/!5056823/

Große, kleine, dicke, dünne: Die Verleihung des Feministischen Pornofilmpreises „PorYes-Award“ steht bevor. Ein Besuch bei Initiatorin Laura Méritt.

Freitagnachmittag in Kreuzberg. In der Dachgeschosswohnung eines Altbaus in der Fürbringerstraße steht die Tür nicht still, Telefone klingeln. Ein halbes Dutzend Frauen sitzt oder steht in dem lichten kleinen Arbeitszimmer von Laura Méritt. Jede von ihnen hat entweder einen Laptop auf dem Schoß oder ein Smartphone in der Hand. Vielsprachiges Stimmengewirr klingt durch die Wohnung. Im größten Raum ein Regal mit Büchern und DVDs. Viel Haut ziert die Cover. Auf einem kleinen Beistelltischchen steht hübsch drapiert ein kleiner Wald aus Dildos, große, kleine, dicke, dünne, alle hautfarben.

„Das ist für die Transleute“, erklärt Laura Méritt, „die wollen ihre Spielzeuge im Moment so authentisch wie möglich. Eine Zeit lang waren Schwänze völlig out. Aber jetzt sagen alle: Ja, bitte! Mehr Schwänze!“

Laura Méritt ist eine zierliche Frau Anfang fünfzig. Sie trägt grüne Jeans und hat ein breites Lachen. Seit 25 Jahren ist die promovierte Soziologin und Feministin als Sexaufklärerin aktiv. Sie betreibt einen Onlinesexshop und lädt jeden Freitag in den offenen Salon zu sich nach Hause, in dem wir gerade sitzen. Würde man das Sexspielzeug wegräumen, könnte man auch denken, man säße im gemütlichen Wohnzimmer einer Literaturprofessorin mit Ethnofaible. Dies jedoch ist der Raum, in dem alle Fragen zum Thema Sexualität und Körperlichkeit geklärt werden, die sonst selten jemand zu fragen wagt. „Dr. Sommer“ live, sozusagen.

Aber braucht man so was heute noch? Reden wir nicht sowieso schon alle die ganze Zeit über nichts anderes?

Schweigen über Sex

Laura Méritt schüttelt den Kopf. „Die Hälfte der Menschen hat Schwierigkeiten, über Sex zu reden. Bei aller Pornografisierung, bei allem Gequatsche über Sex, das durch die Medien geht.“ Diese Schwierigkeiten seien keineswegs nur ein Phänomen der Generation 60 plus, sagt Méritt. „Die Art und Weise, wie über Sex geredet wird, verrät, wie wenig Wissen da ist, wie wenig Reflexion.“ Wenn wir über Sex sprechen, habe das oft einen Wettbewerbscharakter. Wie viel? Wie oft? Wie groß? Doch Prahlerei und Dirty Talk ersetzen eben keinen aufklärenden Austausch. Dafür hat Méritt den Salon erfunden.

Momentan ist sie ein wenig erschöpft. Die PorYes-Awards stehen bevor: Am heutigen Samstag findet in den Hackeschen Höfen in Mitte die Verleihung des Feministischen Pornofilmpreises Europa statt. Laura Méritt gehört zu den Initiatorinnen, eine Woche vorher ist noch sehr viel zu tun.

Die Deutschen seien die Weltmeister im Pornogucken, hieß es in einer Studie des Marktforschungsunternehmens SimilarWeb vom Juli diesen Jahres. 12,47 Prozent des Internettraffics, der von Deutschland ausgeht, führt auf Pornowebsites. Das sind mehr Klicks, als Facebook oder Twitter jeweils bekommen.

Auf den meisten jener Websites werden, wie auch in herkömmlichen Sexshops und Videotheken, hauptsächlich Filme angeboten, in denen in Großaufnahme männliche und weibliche Geschlechtsorgane zu sehen sind, die in einer standardisierten Dramaturgie die stets gleichen Sexpraktiken vollführen. Erst blasen, dann Penetration in alle Löcher der Frau, schließlich abspritzen ins Gesicht. Frauen sind dabei meist passiv und willig, Männer werden zu gesichtslosen Dauerständern.

Die Gegenrichtung

„So etwas ist einfach nicht mehr gewünscht“, sagt Laura Méritt. Sie ist davon überzeugt: „Die Leute wollen Pornos, aber andere.“

Darin sind sich jedoch nicht alle einig. Seit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre währt die Auseinandersetzung zwischen den sogenannten sexpositiven Feministinnen und dem antipornografischen Flügel der Frauenbewegung. Die prominenteste Vertreterin der Gegenrichtung ist Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer. Schwarzer war es auch, die 1987 die PorNo-Kampagne ins Leben rief, deren Ziel das gesetzliche Verbot von Pornografie in Deutschland war.

Frauen wie Laura Méritt jedoch wollten sich nicht der Zensur unterwerfen – sie wollten eine andere Pornografie. Erotische Gebrauchskunst, die niemanden ausschließt. Jeder Mensch, so das Credo, sollte den Porno bekommen, auf den er Lust hat. „Wir wollten, dass alle mal in den Filmen vorkommen“, sagt Laura Méritt: „Ältere Frauen, Männer mit kleinem Schwanz, Dicke. Wir versuchen das aus den Nischen herauszuholen.“

Drei Grundsätze gibt es dabei, die immer gelten müssen:

1. Sexuelle Entfaltung ist Teil aller Freiheitsbestrebungen, sexuelle Materialien und Infos sollen allen frei zugänglich sein.

2. Einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen bedarf keiner Wertung von außen, auch keiner staatlichen.

3. Sex ist wie Geschlecht und Identität konstruiert.

Das ist PorYes.

Eine Mitarbeiterin kommt aus dem Arbeitszimmer gelaufen. „Laura“, fragt sie, „haben wir den noch auf Lager?“ Sie hält einen kleinen dicken Kunstpenis hoch, der eigentlich ganz realistisch aussieht, abgesehen vielleicht von seiner violetten Farbe.

Der Mainstream wird realistischer

Laura Méritts Sexspielzeughandel war anfangs ausschließlich auf Frauen ausgerichtet. In den Achtzigern und Neunzigern sei das wichtig gewesen. „Man musste ja erst mal Basisarbeit leisten“, sagt Méritt. Mittlerweile habe sich jedoch auch im Mainstream einiges geändert. „Es gibt einen Paradigmenwechsel, weg von der überdimensionierten Fickmaschine, hin zu realistischem Porno.“

Auch die Erwachsenenspielzeuge haben Farbe bekommen und einfallsreichere Formen. Es gibt Dildos, die aussehen wie kleine bunte Ostereier, und pinkfarbene Vibratoren in Wellenform. Laura Méritt bietet auch alltagspraktische Utensilien an, einen Kunstpenis etwa, durch den hindurch uriniert werden kann. Alle Produkte sind auf Verträglichkeit geprüft.

„Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir Regale in der Videothek, auf denen steht ’Gehobene Pornografie‘ oder ,PorYes‘ “, prophezeit Méritt und lacht.

Der Arthouse-Porno von morgen kann heute schon bei den PorYes-Awards in den Hackeschen Höfen bewundert werden.